Die Sebalduslegende
01.10.2024, Recherche und Text: Cedric Dütsch B.A.
Im Jahre 1425 wurde die Heiligkeit des Nürnberger Stadtpatrons, Sankt Sebald, durch Papst Martin V. anerkannt. Die Bürger Nürnbergs forderten daraufhin eine moderne Fassung der Vita ihres Heiligen in der Volkssprache. Vermutlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts lag schließlich die hier vorgestellte Sebalduslegende „Czu den zeiten“ in einer mit Holz gerahmten Prachthandschrift öffentlich in der Nähe des Sebaldusgrabes aus.
Um die Handschrift vor Diebstahl zu schützen, war sie in der Kirche angekettet – die Kette ist bis heute erhalten. Schon auf den ersten Blick wird die Bedeutung des Werkes deutlich: Eine prächtige, vergoldete C-Initiale zeigt den Heiligen Sebaldus in einem wallenden Pilgermantel, die Sebalduskirche in den Händen. Die bildliche Darstellung spiegelt die Erzählung auf subtile Weise wider: Zu Füßen des Heiligen sind das dänische Löwenwappen, das französische Fleur-de-Lys und das Nürnberger Stadtwappen abgebildet.
Der Text schildert, wie der Heilige Sebald durch göttliche Fügung als dänischer Königssohn geboren wurde, in Paris studierte und schließlich eine französische Grafentochter heiratete. Trotz seiner Eheschließung entschied sich Sebaldus, seine „iungfrauschafft“ zu bewahren. Ein Hinweis darauf könnte die Erdbeere sein, die unter anderem als Symbol der Jungfräulichkeit gilt und am rechten unteren Rand der ersten Seite zwischen bunten Blütenranken abgebildet ist. Sankt Sebald wählte damit die geistliche Ehe, wie es in der Erzählung heißt, und lebte fortan als Eremit im Wald.
Eine göttliche Eingebung veranlasste ihn, sein abgeschiedenes Einsiedlereben aufzugeben und seine Lehren in die Welt hinauszutragen. Daher wird er immer als Pilgerheiliger dargestellt. Seine Pilgerfahrten führten ihn schließlich nach Nürnberg, wo er bis zuletzt lebte und sich begraben ließ. Auch nach seinem Tod wirkte der Heilige weiter Wunder.
Die Verehrung des Sankt Sebald in Nürnberg geht nicht nur aus der Abbildung des Stadtwappens hervor, sondern auch aus der Abnutzung der Darstellung des Heiligen: Sie wurde so oft berührt und geküsst, dass das Bildnis im Zentrum vergilbt ist. Die Gläubigen erhofften sich dadurch, dass ihnen das Heil des Heiligen Sebald ein Stück weit selbst zuteilwird und sie somit Schutz für ihr Leben erlangten. Dennoch war „Czu den zeiten“ nicht nur für Nürnberger gedacht. Der Text weist kaum Spuren der Nürnberger Mundart auf, was darauf hinweist, dass er auch für Auswärtige verständlich sein sollte. Die kalligraphische gotische Minuskel und das große Format (Blattgröße: 38 x 28,5 cm; Schriftspiegel: 26 x 18,5 cm) ermöglichen es zudem, den Text aus einer Entfernung von bis zu drei Metern zu lesen. Möglicherweise war ein näheres Betrachten der Prachthandschrift nur gegen Bezahlung erlaubt.
Die Zugänglichkeit erleichtern außerdem die Kapitelüberschriften, die von einer anderen Hand eingefügt wurden. Diese erleichtern es dem Leser, sich auf den 28 beschriebenen Pergamentseiten zurechtzufinden – besonders, wenn man gezielt nach einem der zahlreichen Wunder sucht. Einige dieser Wunder sind einzigartig und in anderen Versionen der Legende nicht zu finden. So wird beispielsweise berichtet, dass beim Bau einer Sebalduskapelle das Wasser für den Mörtel ausging. In diesem Moment erschien der Heilige Sebald dem Baumeister und zeigte mit seinem Pilgerstab auf eine Stelle, an der die Bauleute zu graben begannen. Schon bald entsprang dort ein „lieblicher prun“, der Wasser spendete, jedoch nach der Fertigstellung der Kapelle wieder versiegte.
Kurios ist auch die Erzählung von jungen Knaben, die zum Spaß Ziegel von einer Sebalduskapelle rissen. Alle von ihnen, so die Legende, wurden daraufhin von schwerer Krankheit gebeutelt. Darüber ob und wie sie geheilt wurden, schweigt die Erzählung jedoch.
Spätestens an dieser Stelle drängt sich die Frage nach der Inspiration der Schreiber auf. Unter anderem soll diese Frage in einem zukünftigen Dissertationsprojekt beantwortet werden. Sicher ist jedoch, dass Sankt Sebald nicht nur in Nürnberg, sondern auch über die Stadtgrenzen hinaus verehrt wurde und seine Wirkung entfalten sollte. Dieses bedeutende Stück Nürnberger Kulturgeschichte ist heute im Bibliotheksbestand des LAELKB zu finden – neben zahlreichen anderen wertvollen Werken.
Sebalduslegende: LAELKB, Bibliothek D2/ NbgStSeb 8