Umfrage über den Stand der bayerischen Kirchengeschichte, 1919/1920
01.09.2024, Recherche und Text: Annemarie Müller M.A.
In diesem Jahr feiert der Verein für Bayerische Kirchengeschichte sein 100-jähriges Jubiläum. Ein Akt im Landeskirchlichen Archiv verrät jedoch, dass die Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte bereits einige Jahre vorher begann.
In den Jahren 1919/1920 versandte der Pfarrer Hermann Clauß (1870-1936), damals als zweiter Pfarrer in Gunzenhausen tätig, Fragebögen an alle Dekanatsbezirke, in denen er um statistische Informationen über den Stand der bayerischen Kirchengeschichte bat. Diese Fragebögen befinden sich heute in einem Heft im Folio-Format mit dem Titel „Abteilung für bayerische Kirchengeschichte“ im Landeskirchlichen Archiv. Bei der „Abteilung Kirchengeschichte“ handelte es sich um eine Untergruppe des bayerischen Pfarrervereins. Zu dessen engerem Kreis gehörten neben Pfarrer Hermann Clauß auch der Pfarrer und späterer Archivdirektor D. Karl Schornbaum (1875-1953), der Gymnasialprofessor D. Leonhard Theobald (1877-1947) und der Professor für Praktische Theologie, Pädagogik und Didaktik in Erlangen Dr. Christian Bürckstümmer (1874-1924).
Die Resonanz auf diese Befragung der Dekanatsbezirke war erstaunlich groß. Clauß schrieb am 28.01.1920 seinen Kollegen, dass lediglich zwölf Dekanate nicht auf seine Anfrage reagiert hätten. Dies kann zum einen daran gelegen haben, dass manche Dekane die Fragebögen an Pfarrer in ihrem Pfarrkapitel weitergereicht haben, die kirchengeschichtlich interessiert waren. Zum anderen gab es sicher Pfarrer, die anlässlich der in den Jahren 1912/1914 angeordneten Pfarrbeschreibungen gründliche Recherchen zur Kirchengeschichte ihrer eigenen Pfarrei betrieben hatten.
Der zweiseitige Fragenkatalog bestand aus sieben Fragen. Diese bezogen sich zum einen auf Personen, die bei der „Abteilung Kirchengeschichte“ mitarbeiten wollten, eine kirchengeschichtliche Veröffentlichung planten oder in der Pfarrkapitelskonferenz kürzlich einen kirchengeschichtlichen Vortrag gehalten hatten. Dann richtete sich das Interesse darauf, in welchen Archiven Quellen zur Kirchengeschichte des Dekanatsbezirks aufbewahrt wurden und wer darüber Auskunft geben konnte. Einen breiten Raum nahmen Fragen zu vorhandenen Büchern sowie Bibliothekskatalogen, kirchlichen Bibliotheken und Schriften wie Wiegendrucken, Inkunabeln und Reformationsschriften ein. Weiterhin wurde nach noch vorhandenen mittelalterlichen Spitälern, Leprosenhäusern, Seelhäusern und Anstalten christlicher Liebestätigkeit gefragt. Dabei sollte auch vermerkt werden, ob diese Institutionen in kirchlicher oder städtischer Verwaltung standen. Zuletzt konnten die Befragten Wünsche, Anregungen oder für die kirchengeschichtliche Forschung wertvolle Mitteilungen äußern.
Die Antworten auf die Fragen fielen je nach Dekanat unterschiedlich aus. Sie wurden teils als Fehlanzeige, teils in Stichworten beantwortet. Insgesamt sind 57 zurückgesandte Fragebögen vorhanden. Der hier abgebildete Fragebogen des Dekanats Hof ist leider nicht unterschrieben. Es ist aber ersichtlich, dass der Pfarrer und Oberstudienrat am humanistischen Gymnasium in Hof Georg Wilke (1862-1933) stark in der Erforschung der Kirchengeschichte engagiert war).
Das Heft mit einer Laufzeit von 1919-1921 kam mit der Zugangsnummer 18345 in die Sammelstelle für landeskirchliches Schrifttum. Diese war 1926 auf Anregung des Vereins für bayerische Kirchengeschichte und des Rektors des Predigerseminars Nürnberg und späteren Landesbischofs Hans Meiser gegründet worden. Nach der Eingliederung der Sammelstelle in das neugegründete Landeskirchliche Archiv im Jahr 1931 wurde das Heft dem Bestand „Manuskripte“ zugeordnet.
Das Archivale zeigt, dass es neben den universitären streng wissenschaftlichen Wurzeln des Vereins für bayerische Kirchengeschichte auch eine breitere Basis für die Erforschung der bayerischen Kirchengeschichte gab. Die Bemühungen, die Kirchengeschichte nach der Trennung von Kirche und Staat stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken, wären einer weiteren Erforschung würdig. Dies ist durch die Überlieferung des Archivales im Landeskirchlichen Archiv der ELKB möglich, wo es von jedem Interessierten im Lesesaal eingesehen werden kann.
Die Transkription des Fragebogens können Sie hier als PDF-Datei (131 KB) downloaden.
Portrait von Pfarrer Hermann Clauß: LAELKB, BS 9.7.0002 - Bi:6, 249.